Gastbeitrag - Im Takt
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Gastbeitrag – Im Takt

„Gastbeitrag – Im Takt“ – Gastbeiträge sind Blogpost von Personen und Institutionen, die nicht zur Redaktion von koenig-limburg.de gehören. Unser Vorhaben im Jahre 2022 neue Gastbeiträge der Leserschaft im Blog zu präsentieren und damit den Blog mit weiterem Content aufzuwerten scheint uns zu gelingen. Die unterschiedlichen Anfragen wurden mit ersten Rückmeldungen, gar Gastbeiträgen belegt. Den Auftakt macht der Gastbeitrag von Herrn H. – Viel Freude!

Gastbeitrag: 9. Januar 2022

Gastbeitrag – Im Takt

„Ich muss Sie jetzt mal ansprechen“, sagte der Kardiologe. „Sind Sie zufällig der Freund von Herrn H.?

Der Rollstuhlfahrer, der nun schon eine ganze Weile vor dem Aufzug wartete, schaute auf. „Ja. Wieso?“ „Ich muss Ihnen sagen, dass ich so etwas in all meiner Zeit noch nie erlebt habe. Üblicherweise stützt und stärkt in so einer Freundschaft ja der Nichtbehinderte den Rollstuhlfahrer. Ich habe noch nie erlebt, dass es umgekehrt ist. Das finde ich unglaublich und wunderbar. Und dafür wollte ich mich bei Ihnen bedanken.“

Was war passiert?

Herr H. war Patient des Kardiologen. Er war zwei Tage zuvor mit einem schweren Herzinfarkt eingeliefert worden und gerade mal so davongekommen. Zu den Aufgaben des Kardiologen hatte es gehört, das erste Gespräch mit dem Patienten zu führen und ihn so behutsam wie möglich darauf vorzubereiten, dass sein Leben nun ein ganz anderes werden würde.

  • Dass er sich auf erhebliche Einschränkungen einstellen müsse.
  • Dass er nun jeden Tag eine ganze Handvoll Medikamente nehmen müsse.
  • Dass vieles von dem, was einmal selbstverständlich für ihn gewesen war, nicht mehr möglich sein würde.

Dass er den Rest seines Lebens Patient bleiben würde, da ein Herzstillstand in diesem Umfang nicht ohne Folgen bleiben würde. Dass es vollkommen normal sei, dass der Infarktpatient davon betroffen und belastet wäre und dass es geraten und kein Zeichen von Schwäche sei, sich dabei Hilfe zu holen, um die richtige Einstellung für den Rest seines Lebens zu finden.

Gastbeitrag – Im Takt

Doch der Kardiologe erlebte eine große Überraschung. Denn das Einzige, was von Herrn H. ausging, war Gelassenheit. Das wisse er alles, erklärte er. Und er hätte damit überhaupt kein Problem. Denn er sei noch in dieser Welt und das sei das Elementare. Leben sei eben nicht nur, noch im hohen Alter ständig auf dem Sportplatz herumzuspringen und sich in jedes Fußballtor zu stellen, das man fand. Oder 25 von 24 Stunden am Tag unterwegs und bereit zu sein, um alleine eine Nachrichtenseite mit mehr Inhalt zu füllen, als an anderen Stellen vollständige Redaktionen fertigbrachten. Dann erzählte Patient H. dem Kardiologen von seinem Freund. Einem Mann, der mit unendlich viel mehr Einschränkungen zurechtkommen musste, als ihm selbst jetzt bevorstanden.

Ein Mann, von dem er in der Zeit, seit er ihn kannte, auf eine ganz eigene Art und Weise gelernt hatte, was Leben an sich bedeutete. Vor allem, dass dabei gewisse Fähigkeiten wie zum Beispiel eine längere Strecke laufen zu können, nur einer von unendlich vielen Aspekten war. „Was soll mir passieren?“, hatte Patient H. gefragt. „Ich kann körperlich immer noch so viel mehr als mein Freund. Und er genießt das Leben jeden Tag und ist mittendrin.“ Der besagte Rollstuhlfahrer hat nun, zwei Jahre nach besagtem Ereignis, den Schriftsteller, Publizisten und Patienten H. gefragt, ob er für seinen Blog einen Gastbeitrag schreiben wolle. Eigentlich ist dabei das Ziel, seinen Lesern Menschen respektive Unternehmen ein wenig vorzustellen, für die er auf seiner Seite Werbung macht.

Gastbeitrag – Im Takt

Doch das will ich nicht. Über mich ist genug geschrieben worden. Wer etwas über mich wissen will, findet im Netz genügend. Wahrheiten. Halbwahrheiten. Unwahrheiten. Gerüchte. Und an den passenden Stellen in den passenden Ecken von den passenden Individuen auch genügend Hass und Hetze. In diesem kleinen Gastbeitrag jedoch fühle ich mich nicht an Erwartungen gebunden, sondern frei in der Entscheidung, was ich schreiben mag. Genauso wie der Betreiber des Blogs frei ist, darüber nachzudenken, ob er es veröffentlichen will.

Gastbeitrag - Im Takt
Gastbeitrag – Im Takt

Ich möchte Frank hier nicht auf einen Sockel stellen und die werte Gemeinde dazu animieren, ihr anzubeten.

Er ist genau so ein Mensch, wie wir alle auch. Ein ziemlich menschlicher Mensch. Er hat genauso Macken, und in manchem Bereich sogar eine Vollmeise. Was er selbstverständlich, wie wiederum jeder andere auch, entweder nur sehr ungern oder maximal ganz besonders guten Freunden gegenüber zugeben würde.

Menschen sind Menschen, immer und überall…

Aber in meinen über 60 Jahre hat mir noch nie zuvor ein Mensch durch seine bloße Existenz und Nähe so viel über das Leben an sich beigebracht wie Frank. Über ein selbstbewusstes aber respektvolles Miteinander. Darüber, wie Familie auch in extremen Situationen funktionieren und jeden auffangen kann. Oder manchmal eben auch nicht. In diesen Fällen gibt es dann wiederum, siehe oben: Freunde. Ich habe in den Jahren, die ich nun meinen ganz eigenen König von Limburg kenne, so viel erfahren, so andere Perspektiven kennengelernt und darüber so viel Scheu und Unsicherheit im Umgang mit anderen Menschen verloren. Auch mit solchen, die mit sichtbaren Einschränkungen durchs Leben gehen. Oder eben auch fahren und deswegen ein bisschen länger in Krankenhäusern vor Aufzügen warten müssen, die etwa so pünktlich und zuverlässig fahren, wie der öffentliche Personennahverkehr.

Gastbeitrag – Im Takt

Ich denke, ich habe von Frank gelernt und zum großen Teil auch verinnerlicht, dass ein Leben der unterschiedlichsten Menschen miteinander in allererster Linie von Selbstverständlichkeiten geprägt sein sollte. Von der Regel und nicht der Ausnahme. Man kann nämlich auch Menschen ausschließen, indem man sie unreflektiert in den Mittelpunkt stellt und sie damit gerade anders macht.

Und auf einen einzigen Aspekt ihres Daseins reduziert. Eine Gleichberechtigung aller Bedürfnisse ist erst dann erreicht, wenn man nicht mehr darüber nachdenken muss. Wenn es zum Beispiel vollkommen selbstverständlich ist, dass bei einer öffentlichen Veranstaltung auch Menschen mit eingeschränktem Bewegungsvermögen teilnehmen können, ohne dass dies irgendwie herausgestellt wird. Ich kann mit Frank nicht alles machen.

Manches wäre mir auch einfach zu stressig und müsste besonders geplant werden, deswegen fahren wir auch nur sehr selten zusammen irgendwohin. Doch das ändert nichts an unserem Verhältnis. Weil wir nichts gemeinsam machen müssen, nur um es zu beweisen. Anderen.

  • Ich habe einen Freund.
  • Mit dem ich jeden Morgen telefonieren.
  • Mit dem ich meine Sorgen und Freuden teile.
  • Genauso wie er seine mit mir.
  • Den ich häufig sehe.
  • Er ist Politiker.
  • Er ist hartnäckig.
  • Er hasst Bürokraten und spielt mit diesen gerne das Bürokratenspiel, mit der Hauptregel: Ich kann das AUCH.
  • Er ist ein Genießer des gesprochenen Wortes.
  • Er ist ein scharfer, humorvoller Beobachter.
  • Er ist Liebhaber guten Essens (wenn auch seit geraumer Zeit unter meinem negativen Einfluss tendenziell zuckerarm bis frei…)
  • Er ist sogar begeisterter Koch (wenn er denn mal an den Herd darf).
  • Er ist Fußballfreund.
  • Computerdompteur.
  • Fotograf.
  • Vielvater.
  • Ehemann.
  • Ordnungsfanatiker.
  • Und er sitzt im Rollstuhl.

Das ist ein Teil seines Lebens, der ihn und auch unser Verhältnis in der einen oder anderen Hinsicht beeinflusst. Aber nur einer unter vielen und nicht der wichtigste.

Matthias Herbert



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1 Kommentar zu “Gastbeitrag – Im Takt

  1. Dankbar und immer noch völlig überrascht blicke ich auf den Inhalt des Gastbeitrages.

    Gruß Frank

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